(Leseprobe von meinem Werk „Das Haus ohne Spiegel“)
Alles, innerhalb kurzer Zeit, wurde durch Diebstahl zur Farce. Die Arbeitsschichten hatten sich aufgelöst. Der Diebstahl fand bei Sonnenlicht mitten am Tage statt. Selbst die Wache, ein ehemaliger Polizist, der während seiner Dienstzeit zahlreiche Diebe zur Strecke gebracht hatte, verhielt sich wie die anderen auch. Er war ratlos.
Der Ingenieur Arkamendon Vlora starrte machtlos aus dem Fenster seines Büros. Er konnte es nicht fassen, was er sah und hörte. Die Geschäftsführer fühlten sich entmutigt. Ihnen fehlte der Schneid nach draußen zu gehen und der Masse zu befehlen: „Geht nach Hause! Hier gibt es keine Arbeit mehr. Wollt ihr morgen wieder hier arbeiten, oder ernährt ihr euch übermorgen zu Hause von Luft? Darum lasst das Material liegen!“
„Arkamendon!“
„Fatijon, ich denke, mein Herz versagt mir bald!“
„Lass uns auch so verhalten, wie die anderen es tun, Arkamendon, lass es sen! Unseren Fleiß beklauen wir selbst im Endeffekt ...“
Mit Fatijon war Arkamendon jahrelang im Technischen Büro zusammen tätig gewesen. Er hatte selbst keinen Bruder, ihn betrachtete er aber wie einen solchen. Was er ihm empfahl, war wahrscheinlich gut gemeint, er selbst hatte jedoch nie daran gedacht:
„Nur wir beide bleiben hier wie die Fische auf dem Sand.“
„Ich verstehe dich nicht!“, antwortete Arkamendon, außer sich.
„Ich verstehe mich selbst auch nicht. Sie nehmen doch selbst das Gerippe des Unternehmens mit ... An der vorderen Seite ist die Hölle los. Sie haben die Mauer gestürmt und ... Was soll ich noch dazu sagen ...“
„Nein!!!“, entfuhr es Arkamendon spontan, da er genau wusste, dass der Diebstahl immer dort stattfand, wo es einfach war und Stoff und Maschinen leicht waren, die anderen Abteilungen verfügten über eine tonnenschwere Maschinerie. Und selbst das Zerlegen würde sich schlechterdings schwierig gestalten und zu lange dauern.
Zwischenzeitlich hörte Fatijon die Stimme des Direktors auf dem Korridor. Mal ging er (der Direktor?) raus, dann kam er wieder zurück. Selbst seine Schritte erkannte er, wie auch den charakteristisch nasalen Redeweise. Schon möglich, dass der Direktor einige Wachen durch die Abteilungen geschickt hatte, jedoch kam keiner von ihnen wieder zurück. Oder sie wurden bedroht, oder sie alle hat der Orkan des Diebstahls mit sich gerissen. Als Folge tobte der Direktor herum: „Es gibt keinen Staat, es gibt kein Komitee, nichts! Das Telefon der Polizei ist auch dauernd besetzt!“
„Genosse Arkamendon!“. Der Direktor trat ein.
Die Tür seines Büros hatte der Ingenieur zugezogen, dem Direktor war aber klar, dass er hier sein könnte. Er erinnerte sich genau, wie Arkamendon seinen Kopf immer über die Skizzen hielt, alle anderen Arbeiten waren ihm unwichtig bis auf seine technischen.
Arkamendon stand vor dem Fenster und schüttelte den Kopf. Mit gewagten Schritten pendelte er wie ein Tausendfüßler auf der Stelle. Durch das Guckloch in der Bürotür hatte er die Menschen in der Fabrik beobachtet, die oft mit Materialien in den Händen rausgingen.
Er hob den Kopf. Vor sich hatte er das Foto der Mitarbeiter, das dekorativ gestaltet war. Unter anderem sah er sein Porträt. Seit Jahren hing es so. Er verließ den Raum.
„Wo gehst du hin?“, hörte er eine Stimme fragen.
„Endlich habe ich den LKW gefunden. Ich fahre nun meine Tour nach Hause.“
„Puste auf dein Essen, kühl es ab!“
„Warum?“
„Deine Tour haben sie vor einer knappen Stunde weggeschafft. Du hast Zeit!“
„Neiiin!“
„Doch!“
Die Menschen liefen orientierungslos umher, Männer, Frauen, Mädchen, die vor Angst zitterten, weil sie es nicht wahrhaben wollten, was sie sahen und hörten.
Jemand hatte doch so viel Kraft, um die Frage zu wagen: „Was geschieht hier, Herr Ingenieur?“
Selbst er wusste nicht, was hier geschah. Er schaffte es nicht, den guten Menschen eine passende Antwort zu geben.
***
All das spulte sich in der Erinnerung wie ein Schwarz-Weiß-Film ab. An einem Tag entschloss er sich, das alles in einem Block zu notieren. Er hat jetzt viel Zeit. In seinem bisherigen Leben hatte er keine Zeit gehabt. Jetzt diente Arkamendon Vlora, der in der Tschechei als Ingenieur diplomiert war, als Wache des Unternehmens. Und das nicht im ideellen, sondern im physischen Sinne des Wortes.
Irgendwann hörte der Orkan des Diebstahls auf. Arkamendon blieb mit einigen anderen in der Fabrik zurück. Wie die Blätter der Mimose verhielten sie sich, selbst das leitende Personal war durch die Massen eingeschüchtert. Dank seiner Verdienste und seiner Kompetenz blieb er.
Bis zu dem Tag, als keiner mehr geblieben war - außer ihm, dem Direktor, der Sekretärin und ein paar Wachen -, sorgte er sich um die Fabrik.
Die Hoffnung täuschte ihn aber. Der Gedanke, dass die Arbeit dort eines Tages erneut blühen würde, trog ihn. Außer Arkamendon war sonst kein weiterer „Doktor“ der Maschinentechnik bekannt.
Einer der nachkommenden Direktoren war vorher sogar als Gabelstaplerfahrer tätig. Diesen könnte man mit unwilligen Arbeitslosen aus Istanbul vergleichen. Nach dem erwähnten Chaos hatte er den Namen des selbsternannten Direktors gehört, als dieser irgendwo an der Grenze mit Diebesgut erwischt wurde. Dort ernannte er sich zum Direktor der Fabrik! Wie er das dirigiert hatte, konnte Arkamendon nicht begreifen.
„Herr Arkamendon, das Wasser reicht uns bis zum Hals.“
„So ist es, Herr Direktor!“
„Es gibt kein Geld mehr! Ich mache mir Sorgen um dich!“
Arkamendon zitterte, wollte es aber nicht zeigen. Er hat über das Ende nachgedacht. Aber in solch einer Form?! ... Noch drei Jahre, und er hätte sein Rentenalter erreicht. Mit dieser Fabrik hatte er sein gesamtes Leben in Verbindung gebracht. Unzählige Nächte und Tage wachte er über seinen Skizzen und Plänen. Wie viele harmonische und glückliche Momente hatte es gegeben? Wie viel Stress?
„Ich weiß es nicht, ich kann keinen anderen Ausweg finden! Arkamendon, die Chance für dich ist auch da! Der Gjon, die Wache am Eingang, fährt nach Italien zu seinen Söhnen und kehrt nicht mehr zurück. Was meinst du dazu?“
„Wozu?“
Der Direktor starrte den Ingenieur an, um sicherzugehen, ob er nicht einfach den Naiven spielte.
„Wie wozu, Genosse Ingenieur? Ich habe keine Lösung ... Jeder gibt eine Menge aus für eine Stelle als Wache.“
Jetzt begriff es Arkamendon. Und zitterte. Bis in die Tiefe seiner Seele zitterte er. Er stand am Rande eines bitteren Endes. Er, der berühmte Ingenieur der Fabrik, sollte als Wache am Eingang dienen! Gleich wie der Ex-Polizist, Dulli.
„Was sagst du dazu?“
Er hatte einiges zu sagen, aber die Tochter in der Matur, der Sohn Soldat, die Ehefrau mit einem Lohn als Lehrerin. ...
Und jetzt war er Wache seiner Fabrik. Der Direktor, der ihm den „Gefallen“ tat, sagte: „Es sind zwei oder drei andere Direktoren gekommen und gegangen. Also was ist?“
Es verging ein ganzes Jahr, in dem er am Eingang die Fliegen killte. In der Nähe des Eingangs befand sich eine Dahlie. Er nahm so manches Blatt von ihr ab, um so sein Gesicht mit frischer Luft versorgen zu können.
Die Erinnerungen sind weniger geworden. Von der Fabrik sind nur die Wände geblieben. Sowie die tonnenschweren Maschinen, die damals aus Schweden geliefert worden waren, die niemand zu stehlen wagte oder es auch nicht konnte.
Mitunter machte der Ingenieur Arkamendon das Tor hinter sich zu und ging durch die Abteilungen. Nur er kannte die wahren Werte der Maschinen. Er streichelte sie beinahe, fasste sie an, fühlte dabei, wie sein Körper schwach wurde. Ein Blick auf die Maschinen, und er fühlte sich wieder erleichtert. Das reichte ihm für seine Sehnsucht. Für sie hatte er sich qualifiziert und spezialisiert, für das Wohl der Fabrik.
Er kehrte zurück zu seinem Platz am Eingang. Kein Mensch war da, um das Tor auf- oder zumachen zu müssen. Der Direktor kam selten, oft aber auch nicht. Die Sekretärin hatte ausgesorgt. Sie hatte einen Laden gekauft, zwei Näherinnen beschäftigt, um Gardinen herzustellen. Für alle Fälle hatte sie auch den Stempel und das Register mit nach Hause genommen, die Schreibmaschine und anderes mehr. Da wurden ebenfalls Geschäfte für die Beschäftigungsdauer gemacht. Versuch du mal die Rente ohne Arbeit zu erreichen. Die Fabrik hatte Hunderte von Mitarbeitern. Die Sekretärin hatte gelernt, sich emporzuarbeiten und in der Firma zu platzieren. Es wird berichtet, dass sie schon immer alles arrangieren und organisieren konnte.
Und er, der einmal eine Gruppe von fünf Ingenieuren geleitet hatte, fungierte jetzt als Wache. Er wollte einfach nicht leblos werden ... Ansonsten ... wäre er ohne nichts dagestanden. Außerhalb des Tores ist die Straße.
Jetzt herrschte eine andere Zeit. Wieder kam ein neuer Direktor. Keiner weiß wer er mal war, keiner kennt ihn. Er ist intelligenter als der Gabelstaplerfahrer, auch weiß er mehr als die anderen Wachen des Objekts.
Der neue Direktor war praktischer. Arkamendon übersetzte für ihn. Eines Tages sah er ihn ein Buch vom Pierangelo lesen. Er schaute Arkamendon an und fragte ihn: „Verstehst du Italienisch?“
Arkamendon ließ sich mit der Antwort Zeit.
„Englisch auch, Herr Direktor. Auch Tschechisch. Wegen meiner finanziellen Sorgen diene ich als Wache. Ich bin Ingenieur, in der Tschechei wurde ich diplomiert.“
Der Direktor zögerte nicht, ihn zu fragen: „Warum hast du keinen Kurs für Fremdsprachen eingerichtet?“
„Meine Ehefrau hat mir das oft einzureden versucht, ich kann es aber nicht, Herr Direktor! Lehren zu können, ist eine Art für sich. Ich habe nicht die Geduld, um mich mit anderen Menschen zu beschäftigen.“
Der Direktor schüttelte den Kopf und sagte leise: „Englisch auch!“ Er schien über etwas nachzudenken.
„Englisch habe ich lernen müssen noch bevor die ausländischen Spezialisten zu uns kamen, um die Maschinen zu montieren.“
Der Direktor zeigte sein Mitleid. Das war ein Augenblick, wo seine Augen glänzten. Er legte seine Hand auf Arkamendons Schulter. „Wir werden miteinander mehr zu tun haben“, sagte er zu ihm.
Er verschwand für einige Tage. Aus den Nachrichten erfuhr Arkamendon, dass die Fabrik verkauft wurde. Tage später kam der Direktor wieder. Er war ungeduldig und aufgeregt.
„Arkamendon, morgen werden einige Fremde kommen. Beherrschst du das Englische einwandfrei?“
„Ja, Herr Direktor!“
Der Direktor warf ihm einen Blick zu, schaute ihn besorgt an. Seine Uniform kam ihm einfach veraltet vor. Der andere konnte bereits seinen Blick deuten und sagte: „Sicherlich, sicherlich, Herr Direktor, ich werde mir einen Anzug von zu Hause mitbringen.“
„Nein, nein, ich dachte an etwas anderes“, sagte er und holte sein Mobiltelefon heraus. Er machte ein paar Schritte, jedoch ging er nicht zu weit, damit der andere mithören konnte.
„Alles verstanden? Also, eine Garderobe für Herrn Arkamendon. Ebenfalls, ja, ja, zwei Gehälter für ihn extra dazu!“
„Zum Teufel, ich will nicht, dass sie bemerken, dass du als Wache tätig bist! Morgen, wenn sie kommen, müsstest du einiges Geld in deiner Tasche haben, um dir Schuhe etc. zu kaufen. Das brauchst du einfach.“
Er war überrascht, weil er die nette Geste des Direktors nicht verstand. Weder er noch die anderen seiner Vorgänger waren so großzügig gewesen. Sie dachten nur an sich selbst.
„Es wird ebenfalls ein Herr vom Ministerium kommen. Ansonsten … Die da oben erlauben einem nicht, Arkamendon ...“
Arkamendon schien die Spucke im Mund zu trocknen.
„Hier gibt es nichts, was dich überraschen müsste, Arkamendon Bruder“, sagte der Direktor ausdrücklich über die Affinität des Unbegreiflichen. „Die vom Ministerium haben uns immer den Löwenanteil genommen ...“
Arkamendon hatte jetzt alles begriffen. Die bisherigen Geschichten, die er hörte, waren nicht nur Gespräche aus den Kneipen. Ansonsten hatten all die Funktionäre ihre Geschäfte nicht anders gemacht, nicht die Villa am Meer bauen lassen, auch nicht ihre Kinder an die fremden Universitäten geschickt und auch sonst ein gutes Leben geführt.
„Der aus Tirana war sehr besorgt. Er wollte keinen Dolmetscher mitbringen. Diese Geschäfte, Bruder Arkamendon, verlangen keine Zeugen. Ich wäre mir gerne im Klaren darüber, ob du mich verstehst? Er selber soll nur ein sehr gebrochenes Englisch beherrschen. Abgesehen davon, dass Vereinbarungen getroffen und Verträge abgeschlossen werden ... Du bist des Englischen ebenfalls in der Schrift mächtig, nicht wahr?“
„Ja, Herr Direktor, ich habe in Tirana meine Prüfung abgelegt.“
Während Arkamendon antwortete, bemerkte er in seinem Inneren einen lauten Appell: „Mein Gott, dachte er bei sich selbst, wie ist es möglich, solche Arbeiten zu machen, ohne dass es jemand bemerkt!“
Der Direktor sagte noch andere Sachen, Arkamendon jedoch zitterte. Er hat noch nie Geld bekommen, ohne dabei schwitzen zu müssen. Und jetzt? Ganz offen und ausdrücklich betonte der Direktor, dass der Obere aus Tirana wegen des „Vertragsabschließens“ kommen würde und es sehr gern mit Vertrauensleuten zu tun hätte, die auch nicht den Mund aufmachten. Anschließend erzählte der Direktor Arkamendon die Geschichte von einem Dolmetscher, der in einer Zeitung über die abgewickelte Geschichte berichtet haben soll. Kurz darauf fand man ihn tot in einem Kanal.
Am frühen Morgen dehnte sich die klare rote Sonne über den Horizont aus. Auf den längst nicht mehr sorgfältig gepflegten Bäumen im Garten der Fabrik sangen die Vögel ihre harmonische Melodie. Irgendwie hörte man aus der Fülle der Töne den Gesang einer Krähe! Der „Ku-ku“-Gesang dieser Krähe beunruhigte ihn sehr. Sie ließ ihre Fäkalien auf die Schulter der Menschen herab. Sie bewarfen sie mit Steinen, die Krähe jedoch erhob sich zum Flug, als würde sie die Wurfbahn des Geschosses kennen. Jetzt sang auch sie ihre Melodie, sie kam ihm aber wie ein unerträgliches Lied vor. Ihm war, als ob er zahlreiche Tote vor sich hätte.
Der Direktor sah ihn beunruhigt an und da die Zunge bekanntlich meistens am schmerzenden Zahn landet, sagte er zu ihm: „Mach dir keine Sorgen, Mann, du wirst nicht ohne deinen Anteil bleiben! Die zwei Löhne extra, die die Sekretärin vorbeibringen wird, sind nur der ausgetrocknete Schleim aus der Nase.“
Jedenfalls sprach er irgendwie über den tatsächlichen Preis. Arkamendon war bewusst, dass er das letzte Loch der Flöte war.
Der Direktor schien gut in Form zu sein. Er hatte sicherlich ungeduldig auf diesen Tag gewartet. Warum sollte er auch so weiter dahinvegetieren?
Sein Mobiltelefon klingelte.
„Ah, Herr Oberbürgermeister.“
Jetzt redete er Klartext mit ihm. Erzählte ihm, dass der Unternehmer aus dem Ausland zusammen mit dem Minister erst Morgen eintreffen würde.
Arkamendon guckte nach oben zum Himmel, als ob er die Fragmente des Gesprächs nicht hören wollte.
Der Direktor legte auf. Er kreuzte seine Hände. Er beleidigte den Oberbürgermeister bei dem Namen seiner Mutter, seiner Schwester und allem. Weil der unbedingt einen hohen Anteil haben wollte.
Sein Mobiltelefon klingelte erneut. Er schaute auf das Display, ging kurz auf die Worte ein und legte auf.
„Ein Stück Scheiße bist du, ein Kommissar, ein Hurensohn!“
Arkamendon schaute erneut zum Himmel, der wirkte wie durch die schwarzen Vögel besetzt. Sie wussten genau, wie sie über die Köpfe hinwegzufliegen hatten. Die Krähe, der Direktor, der Koordinator, der Oberbürgermeister und er. Er war sich im Klaren, dass im Lebenstheater für ihn keine Rolle frei war, nun jetzt ...
Der Direktor verabschiedete sich. Aber dabei vergaß er nicht, ihm auf die Schulter zu klopfen.
Sein Herz schlug schneller. Er hatte keine Ahnung, wie diese Arbeiten abgewickelt werden würden. Er war seit einigen Jahren über schmutzige Geschäfte informiert, aber so ...
Er hatte keine Zeit, um seine Gedanken abzuschließen. Die Sekretärin kam und reichte ihm den Umschlag mit den zwei Extra-Löhnen.
Sie verlangte keine Unterschrift. Er steckte das Geld in die Tasche. Er belog sich selbst, indem er dachte, dass der Direktor dies hier nur tut, damit er sich einen Anzug leisten kann als Honorar für das Dolmetschen. Später dachte er logischer, da er nicht mehr in dem Alter war, wo man sich selbst dauerhaft belog.
Er warf einen Blick zum Giebel der Fabrik. Es ist nur noch das Skelett übrig geblieben. Dort war er auch einmal ... Es war einmal ...
Das Geld in seiner Tasche brannte. Es verbrannte seine Brust. Etwas wie ein kompliziert gewickelter Knoten beherrschte seinen Magen.
Inzwischen kam ein anderer Wachmann, um ihn abzulösen.
Arkamendon machte sich auf den Weg, war sich aber nicht ganz bewusst, in welche Richtung er ging. Sein Zuhause befindet sich neben der letzten Busstation. Die Geschäfte hingegen liegen am Straßenrand. Er hatte es bitter nötig, einen neuen Anzug zu kaufen, ein Hemd und ein paar Schuhe.
Seit gut zehn Jahren kaufte er nur bei der Firma „Siggo“ ein. Jetzt fuhr er besser erst nach Hause, um mit seiner Ehefrau nachher gemeinsam schauen zu gehen. Sie hatte Ahnung. Im Endeffekt würde sie nicht mehr viel zu bemängeln haben. Sie hatte ihm in den letzten Jahren mit ihren unverschämten Attacken das Leben fast unmöglich gemacht: „Geh mit der Zeit ...“, sagte sie stets zu ihm.
Er stieg in den Bus. Zahlte. Setzte sich hin. Stand auf. Wie ein Roboter. Sich selbst kam er wie ein Wahnsinniger vor. Wenn aber ...? Wenn der Direktor ihn rein zufällig anrufen würde und die Geschichte rückgängig machte? Er musste sich etwas überlegen. Die Frage stellte sich: „Sollte er lieber so tun, als ob er krank wäre?“
Er stieg an einer Station plötzlich aus und ging zu einer Telefonzelle. Er spürte immer noch den Orkan des massiven Diebstahls, wie dieser sich noch lebhaft bewegte. Und er hatte das Gefühl, von diesem erwischt und niedergedrückt zu werden. Machte er einen Schritt, zwei oder drei ... Wenn aber ...? Er hielt an. Die Tochter möchte gern an die Uni gehen. Sein Sohn wird schon im nächsten Monat seine Militärpflicht beendet haben und dann wird er auf der Straße landen. Immerhin marschierte er vernebelt in seinen Gedanken in Richtung Telefonzelle weiter.
In der Kabine hatte jemand das Telefon komplett abgerissen, nur die Kabel waren übrig geblieben. Er kehrte um.
Der Bus war fort, an der Station wartete kaum jemand. Er marschierte zu Fuß weiter, zehn, einhundert, tausend Schritte. Alles um ihn herum kam ihm verändert vor. Selbst die Bäume entlang dem Bürgersteig kamen ihm wie Menschen und die Menschen wie Bäume vor.
Er wollte so gern eine Tasse Kaffee trinken. Die Tasche war voll. Er hatte Geld. Seine Seele war leer. Leer kam ihm alles vor. Seine Füße führten ihn zu einem Lokal, das mit einem Ventilator ausgestattet war. Zwei Tische waren besetzt, die anderen waren frei. Er setzte sich in Fensternähe. Der Kellner warf einen Blick auf seine veraltete Kleidung, wagte es aber nicht, ihm die Frage zu stellen: „Herr, haben Sie sich den Schritt gut überlegt?!“
Sobald der Kellner Arkamendons Tisch erreichte, begann er plötzlich Englisch zu sprechen. Der Kellner war überfordert. Es fiel ihm schwer, die vorherige Unterschätzung zu verbergen.
In diesem Lokal war Arkamendon noch nie. Alles war Luxus gewesen. In der Ecke des Lokals wurde Klavier gespielt. In der Nähe war ein Telefon. Eigentlich hatte er aber keinen Grund, dort hinzuschauen. Er hatte mit dem Telefon nichts zu tun, mit dem Direktor ebenfalls nicht.
Arkamendon trank seinen Kaffee mit Genuss. Danach bestellte er einen Whiskey. Noch einen weiteren. Das Feuer des Whiskeys erhöhte die Hitze in ihm. Er schaffte es jedoch, sich zu beherrschen. Er hatte bereits seinen vierten Whiskey hinter sich, wirkte jetzt mutiger, kompetenter. Endgültig wollte er mit dem Telefon nichts zu tun haben. Falls er mit dem Telefon etwas zu tun haben wollte, könnte das alsbald für alles „bye-bye“ bedeuten! Alles ...
Nein, nein, er wird das Wort schlicht vergessen, es aus seinen Gedanken löschen. Er rief den Kellner und zahlte. Das Trinkgeld sprach für sich. Das Neue hatte Arkamendon Vlora kapiert; er ist nicht mehr derjenige von gestern.
Der Kellner begleitete ihn sogar bis zum Ausgang. Sobald Arkamendon sich auf die Straße begab und die Richtung im Blick hatte, sah er plötzlich Menschen, die eine Leiche begleiteten.
Er stand still, erwies dem Verstorbenen seinen Respekt. Dies aber nur einen Augenblick. Arkamendon fand sich und schaute dem Kellner fest in die Augen. Er holte Kraft und stellte die Frage:
„Weißt du, wo hier ein Beerdigungsinstitut ist?“
„An der nächsten Ecke“, antwortete der andere.
In die gezeigte Richtung machte Arkamendon sich auf den Weg. Mit einem einzigen Gedanken im Kopf. Er wird seinen Sarg bestellen, wird eine Bekanntmachung für die Mitmenschen aufgeben, er wird das Lokal für ein ewiges Mittagessen im Voraus bezahlen. Seine Tasche wird nicht leer sein. Seine Seele aber ist leer.
„Sei gegrüßt, Ingenieur Arkamendon!“, sagte jemand.
Er antwortete nicht. Er ging weiter zum Beerdigungsinstitut. An der Scheibe des dortigen Eingangs las er die Anzeige „Non-Stop“. Er versuchte die Tür zu öffnen, sie war aber abgeschlossen. Ein Mann, der sich in der Nähe des Instituts aufhielt, sah ihn und fragte: „Der Unternehmer des Beerdigungsbüros ist heute gestorben. Wer ist denn bei dir gestorben, Ingenieur Arkamendon?“
Er zitterte, als sein Name ausgesprochen wurde.
„Erinnerst du dich nicht an mich? Ich bin doch der Leiter der Verpackung aus der Fabrik. Eh, Ingenieur, Ingenieur, wie traurig ist die Sache mit der Fabrik gelaufen!“
Seine Füße bewegte Arkamendon jetzt genauso wie diejenigen, die einige Gläser hinter sich hatten. Er antwortete nicht. Seinen Kopf aber drehte er nach einigen Schritten wieder zum Beerdigungsinstitut. Der Aushang „Non-Stop“ kam ihm wie ein Ruf vor: „Komm zurück! Der neue Leichenbestatter wird gleich erscheinen!“
„Du, sag mal, war das nicht der Ingenieur Arkamendon?“, hörte er jemanden fragen, während er an diesem unachtsam vorbeiging.
„Nein, nein, ich bin es nicht!“, antwortete Arkamendon dem Fremden. „Ich schwöre es, ich bin es nicht!“
Arkamendon fiel auf der Straße hin.
Ein Fußgänger beeilte sich, ihm beim Aufstehen zu helfen. Er half ihm auf die Beine, danach entfernte er sich, bedauernd, dass er selbst so viel Schmutz abbekommen hatte.
AL-September 1998